Stadtwächterin Irma
«Und Ihr Beruf?» fragte Stadtwächterin Irma, nachdem sie den Namen notiert hatte.
«Maturand an der Kantonsschule.»
«Weshalb liegen sie mitten in der Nacht hier im Stadtpark?»
«Ich beobachte Sterne.»
«Es ist 2 Uhr nachts», bemerkte die junge Stadtwächterin.
«Tagsüber sieht man sie nicht. Das Licht der Sterne, das wir hier sehen, es ist schon seit Jahrtausenden unterwegs. Vielleicht gibt es den einen Stern schon gar nicht mehr.»
«Haben sie getrunken?»
«Nur ein frisches Aarauer Bier. 100 000 Sterne., aber Ihre Augen funkeln noch schöner.»
«Machen sie mir eine Avance?»
«Avance? Französisch ist nicht so meine Sprache. Wissen sie was ein Lichtjahr ist?»
«Die Distanz, welche das Licht in einem Jahr zurücklegt.» Antwortete Irma und überlegte dabei, weshalb sie überhaupt auf die Frage des Jünglings einging.
«Ganz schön klug für eine Stadtwächterin.»
«Ganz schon frech für einen möchtegern Wissenschaftler.»
«Zeit und Raum sind unveränderlich. Aber wenn wir schneller wären als das Licht...»
«So, ich muss jetzt so schnell wie das Licht ins Bett kommen. Wir machen morgen eine Photographie mit Stadtammann Schmidt. Ich muss noch die schöne Uniform bereitlegen.»
«Strecken sie ihm die Zunge raus!»
«Dem Stadtammann?»
«Dem Photographen.»
"Natürlich nicht, das ist unstatthaft.»
«Jaja», grummelte der Kantonsschüler.
«Zeit und Raum sind also unveränderlich? Haben Sie sich schon mal überlegt, dass alles anders ist, als Sie es heute gelehrt bekommen.»
«Wissen ist relativ.»
«Alles ist relativ, mein Lieber, alles», antwortete die Stadtwächterin und setzte ihre Runde fort.
Der Maturand lag in dieser Nacht noch lange im Stadtpark und dachte über das nach, was Stadtwächterin Irma gesagt hatte.