Stadtwächterin Dagmar

Es war eine turbulente Zeit in diesem Frühling 1798. Die junge Demokratie und die moderne Schweiz war eben erst aus der Taufe gehoben und Aarau zu deren provisorischen Hauptstadt erklärt worden. Am Donnerstag, dem 3. Mai 1798, trafen sich die Abgeordneten der Kantone, um einen definitiven Hauptort zu wählen. Die Konkurrenz war riesig: Zürich, Luzern, Freiburg, Solothurn, Lausanne und Bern machten Aarau die Hauptstadtwürde streitig. Wahl für Wahl schied eine Stadt aus. Nach fünf Runden blieben das hoch favorisierte Bern und Aarau übrig.

Die neue Stadtwächterin Dagmar war für die Sicherheit im Rat verantwortlich und stets zwischen den Abgeordneten anzutreffen. Auch, als die sechste und entscheidende Wahlrunde begann. Welcher Stadt wird die ewige Ehre zukommen, erste Hauptstadt der Schweiz zu sein? Als sich die Abgeordneten zur Abgabe ihrer Stimme erhoben, lag eine knisternde Spannung in der Luft. Von blossem Auge war ein unglaublich knappes Resultat erkennbar. Nur wenigen politisch bewanderten Zeitgenossen fiel in der Hektik auf, dass zwei nebeneinanderstehende, den Bernern zugewandte Volksvertreter, ihre Stimme für Aarau abgaben. Zwei Stimmen weniger für Bern, zwei mehr für Aarau. Ein Augenzeuge berichtete, er hätte während der Abstimmung Stadtwächterin Dagmar direkt hinter den beiden mit gezücktem Dolch beobachtet. Ein Raunen ging durch die Menge, als der Vorsitzende das Resultat bekanntgab: Mit nur drei Stimmen Vorsprung ist Aarau als Hauptstadt der Schweiz gewählt.

An diesem Abend war Dagmar mit einem Krug kühlem Bier mitten unter den feiernden Stadtbewohnern anzutreffen. Wie es denn genau zu diesem Resultat gekommen sei, wollten die Menschen wissen? Doch Dagmar schwieg bis an ihr Lebensende zu ihrer Rolle im entscheidenden Wahlgang. Fragende verwies sie auf das Amtsgeheimnis. Vielsagend fügte sie an, dass sie ihr Handeln stets nach dem Wohl und Ansehen ihrer Stadt gerichtet habe.

Zum Bier...